PMFHousing | Logo
How can we help you today?
Inhaltsverzeichnis
< Alle Themen
Drucken

RWTHThemenheft Hochwasser 2021 Artikel zu PMFHousing

PDF als Download

Fertighausbau für extreme Bedingungen

Ein modulares und kostengünstiges Bausystem

Drei RWTH-Institute und das Start-up „PMFHousing“ starteten 2017 eine gemeinsame Entwicklungsarbeit. Ziel waren stabile und gut isolierte Unterkünfte für Erdbebengebiete und andere Katastropheneinsätze, deren Materialien leicht zu transportieren sind und die vor Ort aufgebaut werden können. Beteiligt waren das Institut für Stahlbau, das Institut für Textiltechnik sowie das Institut für Kunststoffverarbeitung in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen e.V.. Weitere Partner – vor allem aus der Chemie- und Textilindustrie – kamen dazu. Entstanden
ist ein Modulsystem, das Komplexität und Kosten eines Rohbaus deutlich reduziert, die Flexibilität für Bauherrn erhöht und die Bauzeit verkürzt. Diese Vorteile der Modulbauweise mit integrierter Isolierung sind ideal für den schnellen Aufbau von Infrastruktur in Katastrophengebieten. Auch zeichnet sich die Bauweise durch eine vergleichsweise geringe Empfindlichkeit bei Überschwemmungen aus.

Das PMF-System
Beim Bau der Wand-, Dach- und Bodenmodule werden leiterförmige Holzrahmen mit einem dreidimensionalen Gewebe bespannt, die entstandenen Kammern werden anschließend
mit Polyurethan-Hartschaum ausgeschäumt. Die fertigen Module, mit einer Breite von etwa ein bis zwei Metern, können auf der Baustelle innerhalb weniger Tage zu Häusern zusammengesetzt werden. Der größte Fortschritt gegenüber dem klassischen Fertighaus resultiert aus dem unter Druck in den Rahmen eingegossenen und damit fest verklebten Block aus isolierendem und aussteifendem Hartschaum. Die Bauweise vereint dadurch die Vorteile der Rahmen und der Sandwichbauweise. Der Schaumblock dient dabei nicht nur zur Isolierung,
sondern auch als Wasserdampfbremse und Winddichtung. Der Aufbau der Wände wird im Vergleich zur Verwendung von Fasern, Schüttungen oder eingepassten Schaumwerkstoffen
wesentlich vereinfacht, da entsprechende Membranen nicht erforderlich sind. Ebenfalls entfallen kann in vielen Fällen eine separate Installationsebene oder eine Fassaden-Hinterlüftung.

Die entwickelte Bauweise eignet sich für extreme Bedingungen:
Hochwasser – Durch den Klimawandel nehmen Gebäudeschäden durch Überschwemmungen weltweit zu. Die Höhe des jeweiligen Schadens hängt jedoch stark von der Bauweise ab. Holz ist gegen kürzere Überschwemmungen relativ unempfindlich, der Polyurethan-Kern saugt sich nicht mit Wasser voll und ist verrottungsresistent. Bei der Sanierung muss nur die Wandverkleidung abgenommen werden, die Wände selbst bleiben dicht und standfest. Das Haus kann oft während der Reparatur bewohnt bleiben. Erdbeben – Geringes Gewicht, Fachwerkprinzip und Schwingungsdämpfung sind Eigenschaften, die ein Gebäude erdbebenresistent machen. Einen entscheidenden Beitrag dazu leistet der Schaumkern der Wände, der die
horizontalen Kräfte eines Erdbebens effizient auffängt und Schwingungen dämpft. Sturmzonen – Die Wahrscheinlichkeit schwerer Wirbelstürme ist dort am höchsten, wo die regionale Architektur vor allem auf Leichtbau setzt: vom Äquator bis in den Süden der USA nehmen die Schäden am Gebäudebestand wegen des Klimawandels zu. Der eingegossene Schaumkern hält die Wände auch bei extremen Stürmen dicht und schützt gut vor Durchschlag. Die solide Verankerung im Boden verhindert ein Abheben. Wenig tragfähige Untergründe – Das niedrige
Gewicht und die hohe Festigkeit ermöglichen den Einsatz auch auf wenig tragfähigen Untergründen oder als „Aufstockung“ bestehender Gebäude. Ein weiteres Einsatzgebiet wären beispielsweise Permafrostböden: In arktischen Regionen werden größere Gebäude in der Regel auf Betonpfählen gebaut und diese tief im Permafrostboden verankert. Aufgrund des Klimawandels gelten 30 Prozent dieser Gebäude inzwischen als instabil. Durch ihr niedriges Gewicht und die gute Isolation des selbsttragenden Bodens können PMF-Häuser direkt auf den Permafrostboden aufgesetzt werden und sinken selbst dann nicht ein, wenn der Boden morastig wird. Feuer – Die für die PMF-Häuser verwendeten Materialien sind zwar brennbar, es werden jedoch alle zum Brandschutz erforderlichen Vorschriften eingehalten. Die verwendeten Kunststoffe haben eine hohe Entzündungstemperatur – weit über der von Holz –, brennen
langsam, tropfen nicht ab und neigen nicht zu Schwelbränden. Darüber hinaus entstehen in der frühen Phase von Bränden vergleichsweise wenig gefährliche Gase. Insgesamt kann die Bauweise leicht auf die Anforderungen der entsprechenden Einsatzzwecke und -gebiete hin optimiert werden. Neben der Variation von Wandstärken und Holzdimensionen können auch Schäume verschiedener Dichte und extremer Brandfestigkeit zum Einsatz kommen, um die Gebäudeeigenschaften entsprechend anzupassen. Auf den ersten Blick erscheint der Einsatz
von – zumindest derzeit noch – erdölbasierten Schaum- und Geweberohstoffen nur schwer mit den Zielen des ökologischen Bauens vereinbar. Eine Analyse zeigt, dass die entwickelte Bauweise fast allen anderen Bauweisen auch aus ökologischer Sicht überlegen ist: Der wichtigste Faktor ist dabei der durch die herausragenden Dämmeigenschaften ermöglichte niedrige Energieeinsatz im Betrieb für Heizung und Kühlung bei vergleichsweise geringen Wandstärken. Immer mehr im Fokus steht derzeit die beim Bau selbst aufzuwendende „Graue Energie“. Hier ermöglicht die Kombination von Isolierung und Aussteifung eine Materialeinsparung. Bei gleicher Festigkeit benötigt ein PMF-Haus rund ein Drittel weniger Holz als ein konventionelles Holzhaus, und ein Wandmodul wiegt nur 20 Prozent einer vergleichbaren Ziegelwand. Ein Kritikpunkt am Einsatz von Kunststoffen ist ihre geringe biologische Abbaubarkeit. Im Baubereich steht dem der Vorteil gegenüber, dass Kunststoffe nicht verrotten, faulen oder schimmeln – da sie eben nicht biologisch abgebaut werden. Bei Gebäuden erwarten wir jedoch eine lange Nutzungsdauer ohne aufwändige Erhaltungsmaßnahmen. Idealerweise werden dabei Materialien verwendet, die am Ende der Nutzungsdauer wiederverwendet, recycelt oder zumindest energetisch genutzt werden können. Die in einem PMF-Haus verbauten Module können beim Abbau eines Gebäudes teilweise für neue Gebäude verwendet werden. Alternativ können die verwendeten Isolierstoffe in neuen Gebäuden als Schüttdämmung Verwendung finden. Die Materialien für die Gewebe und den Isolierschaum sind so gewählt, dass ein gemeinsames Recycling möglich ist – im Falle von Polyurethan ist durch „Depolymerisation“ sogar eine Rückgewinnung der eingesetzten Rohstoffe zu „Sekundärpolyolen“ möglich. Außerdem ist für die Schäume und Gewebe der Einsatz recycelter Materialien – beispielsweise aus PET-Flaschen attraktiv. Die Verwendung von Erdöl als Chemierohstoff ist weit weniger klimaschädlich als dessen Verbrennung als Energieträger, wobei große Mengen an Treibhausgasen entstehen. Für den Bau von PMFHäusern wäre auch ein Einsatz von nachwachsenden Chemie-Rohstoffen möglich. Ein Prototyp eines PMF-Hauses mit einer Grundfläche von 36 Quadratmetern steht auf dem Gelände des Digital Capability Centers am Institut für Textiltechnik. Aktuell wird das Gebäude auch als Versuchsträger für innovative textile Fassadentechniken genutzt.

 

Autoren
Dr.-Ing. Magdalena Kimm ist Bereichsleiterin
am Institut für Textiltechnik.
Dipl.-Ing. Andreas Mohr ist Geschäftsführer
der PMF Housing GmbH.

Kategorien

19. April 2024, 10:00 – 12:00 Uhr